21. 12. Gemeinsam mit Hans – er ist vorgestern angekommen – sind wir der Einladung von Soeur Marie Justine gefolgt und haben mit ihr das Heim für Straßenkinder besucht, das von ihrer Kongregation betrieben wird. Von dem Heim hat sie mir schon öfter erzählt. Dort leben auch Kinder, die von ihren Eltern verstoßen wurden, weil sie angeblich Hexen sind! Der Hexen- und Hexerich-Glaube ist ein Resultat dieser Reveilles.
In dem Heim haben wir unter anderen zwei fünfjährige Mädchen, die erst seit wenigen Wochen im Heim leben, getroffen, beides „Hexen“. Das eine ist sichtlich unterernährt mit ganz dünnen Armen und Beinen. Das andere hat eine schlimme Wunde neben dem linken Auge. Fast so groß wie meine Brandwunde. Die Wunde stammt von der Misshandlung durch die Tante des Mädchens, erzählt die Schwester, die dort arbeitet.
Beide Mädchen wirken traumatisiert, sprechen nicht, reagieren nicht. Unser Neffe Florian hat Hans Farbstifte mitgegeben. Wir geben den Mädchen Stifte in die Hand, sie können damit und mit dem Blatt Papier nichts anfangen. Ich nehme eins der Mädchen auf den Schoß und führe die kleine Hand mit dem Stift. Eine Blume ist zu kompliziert. Ein Kreis. Ein Viereck. Eine Wellenlinie. Eine andere Farbe ausprobieren. Ich lasse die Hand aus und das Mädchen probiert selber einen Kreis, ein Viereck. Ganz zögerlich. Hans nimmt das andere Kind auf den Schoß und macht dasselbe.
Aber Soeur Marie Justine drängt zum Aufbruch, und wir lassen die Kinder zurück.
Wenn ich das aufschreibe, ist mir zum Weinen.
Ein Taxifahrer hat mir gesagt, dass es die Reveilles seit dem Ende der 1990er Jahre zunehmend mehr gibt. Auch in Gombe, wo ich jetzt wohne, gibt es sie. Aber hier dürfen sie wohl nicht riesige Boxen aufstellen und so wie in Limete die gesamte Wohngegend mit ihrem Lärm terrorisieren. Deshalb fallen sie nicht so schlimm auf. Aber als ich sie hier das erste Mal hörte, packte mich ein panisches Verfolgungsgefühl!
Ich habe die Menschen, die zu den Reveilles gehen, Verrückte genannt. Aber diejenigen, die hinter dieser Bewegung (als Kirche möchte ich sie nicht bezeichnen) stehen, sind Verbrecher! Wenn mir ein schlimmeres Wort als Verbrecher einfiele, würde ich dieses verwenden. Diese Bewegung drückt für mich das am Schlimmsten Vorstellbare aus, mit dem was sie Kindern und Familien antut.