Selektive Geschichtswahrnehmung zeigte sich in der im Vormonat zuende gegangenen niederösterreichischen Landesausstellung „die 60er. Beatles, Pille und Revolte“ (1.5. bis 1.11. 2010) auf der Schallaburg bei Melk.
Die Ausstellung wurde unter Mitwirkung namhafter WissenschafterInnen unterschiedlichster Disziplinen (z.B. dem Soziologen Roland Girtler) gestaltet und hat die Kultur- und Zeitgeschichte der 60er Jahre, also eines Zeitraums, der mehr als 40 Jahre zurück liegt, zum Thema. Die Veranstalter spannen nach eigener Beschreibung den Themenbogen von Kunst über Politik, Gesellschaft bis hin zur Technik.
In der Ausstellung wird auch der Vollbeschäftigung, dem wirtschaftlichen Aufschwung, dem Arbeitskräfte-Mangel und dem damals noch sehr traditionellen Rollenbild der Frauen, das von ihnen erwartete, sich auf Familienarbeit zu beschränken und dem Erwerbsleben fern zu bleiben, Raum gewidmet.
Mit keinem Wort bzw. Artefakt sind aber die folgenreiche Liberalisierung des Arbeitsmarktes, die Anwerbung von Gastarbeitern und damit ein Start- bzw. Wendepunkt in der Arbeitsmigration in jenem Jahrzehnt in der umfangreichen Ausstellung existent. Die sich entwickelnden nachhaltigen gesellschaftlichen Veränderungen sowie der Beitrag der „Gastarbeiter“ zur Sicherung des allgemeinen Wohlstands in Österreich sind kein Thema. Dieses wurde schlichtweg von den Gestaltern und Gestalterinnen übersehen. Eine vertane Chance, den tausenden BesucherInnen der Ausstellung einen bedeutenden Aspekt der Zeitgeschichte, der die Gesellschaft in der Gegenwart maßgeblich betrifft, auf eine sachliche und entemotionalisierende Weise näher zu bringen.
Historische Reflexionen und eine thematische Aufarbeitung und Vermittlung der jüngeren Zeitgeschichte in Bezug auf Migration sind, so lässt jedenfalls diese Ausstellung vermuten, noch kein bevorzugtes Thema der Wissenschaft und der Kulturvermittlung.