Zeitgleich mit meiner eigenen Krankenhaus- und Hinfälligkeitserfahrung las ich im Presse-Spektrum vom 15. Mai 2010 den Artikel „Der virtuelle Patient“ des Grazer Philosophen und schätzungsweise Altersgenossen Peter Strasser über seine Erfahrung mit Medizin und Krankheit. Die Quintessenz seines, eines Philosophen würdigen Artikels war die Trauer darüber, dass es den „guten Arzt“ nicht mehr gibt.
Ich möchte seine Ausführung, der ich mich in vielen Punkten anschließen kann, mit der Trauer um den Verlust der „guten PflegerIn“ ergänzen.
Das Vorspiel zu meinem kurzen Krankenhaus-Aufenthalt war zwei Tage vor der OP. Es ging um die Diagnose-Stellung eines Meniskus-Schadens und der Vorbereitung auf eine sogenannte Arthroskopie, einer „Knopfloch-Chirurgie“ zur Ausbesserung des schadhaften Meniskus. Meine Krankengeschichte wurde von der Unfallchirurgin gewissenhaft aufgenommen. Die Anästhesistin führte ein klärendes Gespräch mit mir. Ich durfte seitenweise Antworten auf Fragen ankreuzen und dann mein Verständnis und Einverständnis mit Unterschrift bestätigen. Insgesamt eine bestens standardisierte OP-Vorbereitung.
Am Aufnahme-Tag bekam ich von der Schwester mein Zimmer und Bett zugewiesen und traf zwischen vier Menüs, die sie mir vorschlug, meine Auswahl. Sie legte mir ein Papier zur Unterschrift vor, auf dem ich ankreuzen konnte, ob jemand (wer?), niemand, oder jedermann/frau Auskunft über meinen „Fall“ einholen könne.
Irgendwann war dann der Eingriff vorüber und ich befand mich im „Aufwach-Raum“. Meine Beine und mein Becken fühlten sich ganz schwer und unbeweglich an, kein Wunder, ich hatte mich für eine Rückenmarks-Narkose entschieden. Warum war ich aber so müde und benommen? (10 Tage später erfuhr ich, dass die Rückenmarksnarkose nicht „gesessen“ hatte und zusätzlich eine Vollnarkose nötig war). Die Schwere in meinem Becken war mir unerträglich und ich versuchte durch Bewegen meines Oberkörpers etwas Bewegung in meine untere Körperhälfte zu bekommen. Aus der Ferne hörte ich jemanden (die Schwester, die sich mir vor der OP als „Aufwachraum-Schwester“ vorgestellt hatte?) sagen: „Die ist aber unruhig“. Sie blieb in der Ferne. Meine Vitalwerte waren ja gut überwacht. Sie sah keine Notwendigkeit, sich mir zu nähern und mir in meiner Unruhe beizustehen. Eine „gute Schwester“ hätte mir geholfen, mein Becken ein wenig zu bewegen und eine angenehmere Position zu finden.
Später als ich wieder im Zimmer war kam eine Schwester, um mir die Blutverdünnungs-Spritze zu geben. Diese soll im Winkel von 45° in das subkutane Gewebe verabreicht werden. Sie aber haute die Spritze senkrecht rein und traf den Muskel. Das bemerkte sie aber gar nicht. Das Brennen und der blaue Fleck, der sich gleich abzeichnete, interessierten sie auch nicht. Ebenso keine Rede davon, nachzufragen wie es mir nach dem Eingriff geht.
Am nächsten Morgen konnte ich schon wieder heim gehen. Die Ärztin, die die Visite machte, war kurz angebunden. Über den OP-Verlauf konnte sie mir nichts sagen. Sie war definitiv keine „gute Ärztin“, die wohlwollendes Interesse entgegen bringt und wartet, bis ich Fragen formulieren kann. Z. B. „Wie geht es jetzt weiter? Wie soll/kann/darf ich mein Bein belasten? Was soll ich tun, was lassen?“ Die Schwester, die die Ärztin begleitete, fragte: „Wollen Sie Krücken?“ Ja, soll ich welche wollen? Nein, ich „will“ keine Krücken. Und wenn ich welche wollte oder haben sollte, hätte sie mir den korrekten Gebrauch gezeigt? Soll man sowas von selber wissen? Ich bekam von ihr noch kommentarlos ein Rezept für zehn Blutverdünnungs-Spritzen ausgehändigt. Wissen „NormalbürgerInnen“ über die Bedeutung der Thrombose-Prophylaxe Bescheid? Verstehen sie es, sich selbst die Spritze zu geben? Aber diese Fragen gingen mir erst durch den Kopf, als ich schon daheim war. Die Schmerzen und die Schwellung, die daheim auftraten, wusste ich durch Topfenauflagen zu behandeln. Wissen das andere PatientInnen auch? Wenn sie es nicht wissen, was tun sie, wenn sich die Zeichen der Entzündung, die nach so einem Gelenkseingriff üblich sind, zeigen?
Das Entlassungs-Management war definitiv mangelhaft. Sogar was den/die „virtuelle PatientIn“ betrifft. Und die „Pflege“, die so sehr danach trachtet, sich als eigenständige Berufsgruppe zu qualifizieren, hat sich als Hotel-Service-Personal, und als einfältiges Hilfspersonal der Medizin dargestellt.
Ein Unterschied zwischen meinem Beitrag und dem Artikel des Philosophen: Bei ihm kommt die Pflege erst gar nicht vor. So unbedeutend macht sie sich selbst.
Liebe Hermine,
Dein Blog hat mich sehr interessiert und auch zu dem pointiert formulierten Artikel von Hr. Strasser geführt – er spricht mir aus der Seele.
Die Pflege – Du schreibst , sie kommt in dem Artikel nicht vor – kommt in Strasser´s These 4 als „ganzheitlich Besorgtheit im nichtärztlichen Bereich“ vor. Leider, wie die „nicht guten “ Ärzte auch, als nicht die gute Schwerster/der Pfleger.
liebe Grüße GAbi
PS. wir kennen einander vom Aufbaukurs Kin. 2008, St. Georgen an der Gusen